Mode & Kopie/Beyond-Gründerin
Fredericke Winkler in der J’N’C
In Zeiten von Internet, chinesischen Hochleistungsproduktionen und preisgesteuerten Konsumentscheidungen kämpfen Marken gegen nahezu identische Kopien. Bei Millionen seelenloser Waren, die auf kurzem Wege und unschlagbar billig auf den Markt geworfen werden, scheinen sie kaum eine Chance zu haben, ihre Produkthoheit zu wahren. Die einzige Lösung, um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, ist, sich weniger um vermeintliche Gerechtigkeit zu bemühen als sich auf jene Besonderheit des Originalprodukts zu besinnen, die nicht kopierbar ist. Die Originalität.
Die Tragödie beginnt etwa in den 80er Jahren, als die gleichen Unternehmen, die nun vom Ideendiebstahl betroffen sind, ihre Produktionen nach Asien verlagerten. Niedrige Löhne, geringe Steuern und Zollvergünstigungen versprachen Absatzmaximierung bei gleichzeitiger Kostenreduktion. Mit der Auslagerung der gesamten Produktionskette – von der Rohstoffgewinnung bis zur Endfertigung – konnten sich die Unternehmen voll auf ihre Markenarbeit konzentrieren und dennoch ein jährliches Umsatzwachstum im zweistelligen Bereich verzeichnen. Das Risiko, neue Partner aus einer fremden Kultur mit entsprechend schlecht überschaubaren Gesetzgebungen als solche zu akzeptieren und ihnen mit Auftragserteilung sämtliche Informationen zur Fertigungsweise mitsamt der zugrundeliegenden Technologien vertrauensvoll in die Hände zu geben, schien bei solch einem Gegenwert tragbar.
Innerhalb von 15 Jahren mauserten sich diese Subunternehmer in China, Indien und ähnlichen Standorten zu Großproduzenten, bauten riesige logistische Systeme auf und erweiterten ihre Expertise mit jedem neuen Auftraggeber. Von da brauchte es nur einen kleinen Schritt, bis man die Produkte, mit deren Herstellung man ohnehin seit Jahren betraut war, umetikettiert hatte, um sie dann in einen lukrativen eigenen Vertriebskanal zu schleusen. Ein kleiner Schritt mit großem Effekt. Zugespitzt könnte man vom Ende eines langen Identifikationsprozesses sprechen, mit dem Ergebnis neuer Besitzansprüche.
(…) Seit den 90er Jahren überschwemmen minderwertige Kopien zunehmend den globalen Markt und haben bereits zur Jahrtausendwende eine kritische Masse erreicht. (…) Die Umsätze des so genannten Shanzhai-Markts, des Marktes mit gefälschter Ware, machen laut DIHK acht bis zehn Prozent des Welthandels aus. Allein im Bereich Kleidungsstücke und Accessoires werden innerhalb der EU jährlich um die 30 Millionen Produkte konfisziert. Unvorstellbar diese Verschwendung an Rohstoffen und Energien für Transport und Logistik. Und dennoch lohnt sich das Geschäft mit den seelenlosen Konsumgütern, denn die Gewinnspanne ist höher als auf dem Drogenmarkt.
Zudem hatte unsere hiesige Vorstellung von geistigem Eigentum in China noch bis vor kurzem kaum einen ethischen oder juristischen Wert. In Bezug auf ein Land, in dem Individualität sowohl aufgrund der Einwohnerzahl als auch mit Blick auf traditionelle Grundannahmen und die politische Geschichte nie als schützenswertes Gut anerkannt war und dessen wirtschaftliche und kulturelle Größe auf dem Prinzip des Eklektizismus basiert, lässt sich noch nicht einmal von bösen Absichten sprechen. Kann es also sein, dass Großunternehmen vor 30 Jahren im Zeichen der Kostenreduktion einen Pakt mit ihrem persönlichen Teufel eingegangen sind und nun jegliche Verantwortung von sich weisen?
Pirat oder Freibeuter?
Der Leitgedanke der so genannten Produktpiraten, nämlich wirtschaftsfähigere Produkte zu schaffen und diese auf eigenen Märkten zu vertreiben, unterscheidet sich bei näherer Betrachtung kaum vom ökonomischen Grundverständnis der Verprellten. Denn mal ganz ehrlich: Die Verhaltensweisen westlicher Auftraggeber in den so genannten Niedrig-Lohn-Ländern sind nicht selten alles andere als fair. Immerhin nutzt manch einer die einseitigen Machtverhältnisse bis heute aus – in mehrfacher Hinsicht: Auftraggeber legen die Liefertermine aus der Ferne fest, oftmals ohne sich um den Produktionsverlauf zu scheren. Sie geben dabei sowohl sämtliche ökologische als auch soziale Verantwortung ab. Ausbeutende Anbauverfahren ohne Regenerationsphasen für die Böden sowie die Verwendung von chemischen Hilfsmitteln zur Erhöhung der Erträge einerseits, die Ausbeutung der Arbeiter durch unmenschliche Arbeitszeiten und existenzminimumunterschreitende Löhne andererseits, so die Vorwürfe, die Großunternehmer nun schon seit einigen Jahren von Aktivisten, Umweltschützern und anderen Oppositionellen zu hören bekommen.
Erstaunlich ist, dass bei allen wirtschaftlichen Überlegungen die folgende nur allzu oft ausgeklammert wird: Setzt ein Unternehmen statt auf nachhaltige Produktion auf schnellen Erfolg, wird es mittelfristig mit gewissen Konsequenzen leben müssen. Der Schwarzmarkt ist eine davon. Denn warum sollten die Vertragspartner ihrerseits Hemmungen zeigen? Warum sollten sie sich an ihren skrupellosen Auftraggebern nicht ein Vorbild nehmen und ihr Stück vom globalen Wirtschaftskuchen sichern, zumal ihr Geschäft selbst bei einem Bruchteil der Qualität und des Preises gleiche beziehungsweise höhere Umsätze verspricht? (…)
Mehr in der aktuellen J´N´C 03/11.